1. Januar

Im Strukturwandel der Weltautomobilindustrie wuchs der Volkswagen Konzern zu einem global produzierenden Mehrmarkenverbund heran. Beherzt nutzte Volkswagen in den 1980er Jahren die Expansionschancen auf dem europäischen und asiatischen Kontinent, um die branchenspezifischen Negativtrends vor allem durch Volumenpolitik aufzufangen. Der verschärfte Verdrängungswettbewerb in Europa und Nordamerika, die Verteuerung der Energieträger, die Instabilität des internationalen Währungssystems sowie die umweltpolitischen Anforderungen verlangten nach neuen Produkt- und Fertigungskonzepten. Dem trug der Volkswagen Konzern durch einen gleichermaßen innovationsorientierten wie expansionsfreudigen Kurs Rechnung, der durch die Weiterentwicklung der Fahrzeugtechnologie und die Flexibilisierung der Produktion bestimmt wurde. Zum anderen gab die strategische Ausrichtung vor, grenzüberschreitende Kooperationsmöglichkeiten auszuschöpfen und durch die Verstärkung des Produktionsverbunds Kostenvorteile im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung zu erzielen.
Zukunftsweisende Kooperationsprojekte initiierte die Volkswagenwerk AG im asiatisch-pazifischen Raum, der wegen seines dynamischen Wirtschaftswachstums als volumenträchtiger Exportmarkt und kostengünstiger Produktionsstandort ins Blickfeld rückte. Indem der Hersteller Nissan Anfang 1984 in Japan die Montage des Santana aufnahm und über seine Absatzorganisation vertrieb, verstärkte Volkswagen auf dem dortigen Markt seine Präsenz. Darüber hinaus intensivierte der Volkswagen Konzern die Analyse des im Hinblick auf Flexibilität und Produktivität vorbildlichen japanischen Produktionssystems. Obwohl der Volkswagen Konzern zum führenden ausländischen Automobilimporteur in Japan aufstieg, wurde eine spürbare Ausweitung der Fahrzeugexporte durch protektionistische Maßnahmen blockiert. Erst die Öffnung des japanischen Marktes Ende der 1980er Jahre schuf die Voraussetzungen für eine volumenorientierte Exportstrategie. Die Volkswagen Audi Nippon K.K., die Mitte 1989 aus der Beratungsgesellschaft Volkswagen Asia Ltd. hervorging, begann deshalb mit dem Aufbau eines eigenständigen Vertriebssystems.
Im Zentrum des Engagements in Asien stand die Volksrepublik China, die sich durch ihre Reformpolitik als Zukunftsmarkt und aufstrebender industrieller Partner empfahl. Umgekehrt vertraute die chinesische Führung auf das Wolfsburger Unternehmen, weil es in Brasilien und Mexiko beim Aufbau der Automobilindustrie Pionierarbeit geleistet hatte. Von 1978 an verhandelten beide Seiten über die Errichtung einer Automobilfertigung. Das avisierte Großprojekt entsprach jedoch weder den industriellen Gegebenheiten Chinas noch den begrenzten finanziellen Spielräumen des Volkswagen Konzerns und wurde zu Gunsten eines stufenweisen Produktionsaufbaus fallen gelassen. Der 1982 unterzeichnete Montagevertrag mit der Shanghai Tractor & Automobile Corporation bildete den Prolog zu einer deutsch-chinesischen Erfolgsgeschichte, die am 11. April 1983 mit dem Bandablauf des ersten in China montierten Santana begann und sich 1985 mit der Gründung des Joint Ventures Volkswagen Shanghai Automotive Company, Ltd. fortsetzte. Im Zuge des Kapazitätsausbaus entwickelte sich das Gemeinschaftsunternehmen zur größten Pkw-Fabrik Chinas und machte Volkswagen zum Marktführer in der Volksrepublik. Diese Position konnte durch die Gründung eines zweiten Joint Ventures im Februar 1991 langfristig gesichert werden. Die FAW-Volkswagen Automotive Company, Ltd. in Changchun produzierte wie die Volkswagen Shanghai sowohl für den chinesischen Markt als auch für den Konzernverbund.
Parallel zum Einstieg in den chinesischen Markt ebnete der Volkswagen Konzern den Weg zur Führungsposition in Europa, wo 1982 eine Belebung des Exportgeschäfts einsetzte. Trotz einer schwächelnden Automobilkonjunktur übertraf der Gesamtabsatz mit knapp 619 000 Fahrzeugen das Vorjahresniveau, wobei Frankreich, Italien und Großbritannien mit jeweils mehr als 100 000 verkauften Fahrzeugen zu den wichtigsten Abnehmern zählten. In Spanien hingegen, dessen bevorstehende Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft eine kräftige Expansion der Automobilimporte erwarten ließ, war Volkswagen kaum vertreten. Nach Aufhebung der Importbeschränkungen für Pkw hatte Volkswagen mit Gründung einer eigenen Vertriebsgesellschaft im Mai 1981 den ersten Schritt zur Erschließung des iberischen Marktes unternommen. Der zweite folgte durch eine Kooperation mit dem staatlichen Automobilhersteller Seat. Schnell stieß Volkswagen in die Lücke vor, die der Rückzug des Autoproduzenten Fiat aus dem spanischen Unternehmen ergeben hatte. Den Lizenzvertrag zur Produktion des Polo, Passat und Santana schloss der Vorstand in der Absicht, Volkswagen zur Nr. 1 in Europa zu machen. Denn erst die Verlagerung der Polo Fertigung nach Spanien setzte in Wolfsburg die Kapazitäten für eine Ausweitung der Golf Produktion frei. Die Zusammenarbeit mit Seat trug bereits 1984 erste Früchte. Der Absatz von Volkswagen und Audi Modellen schnellte in Spanien von 2 379 Fahrzeugen im Jahre 1982 auf 28 667 Fahrzeuge hoch, und auch in der Schweiz, in den Niederlanden, in Belgien sowie in den skandinavischen Ländern konnte Volkswagen seine Marktposition ausbauen. Mit knapp 760 000 verkauften Fahrzeugen und einem Absatzplus von gut 24 Prozent erreichte der Volkswagen Konzern 1985 erstmals die Spitzenstellung in Europa. Dies gab Rückenwind für die Übernahme von Seat im Juni 1986. Wie die Auto Union gut zwanzig Jahre zuvor, fand Seat als eigenständige Marke unter dem Konzerndach Platz. Die Trennung von Fiat hatte jedoch Spuren hinterlassen, denn sie stellte das spanische Unternehmen vor die schwierige Aufgabe, eine eigenständige und konkurrenzfähige Produktpalette zu entwickeln. Beträchtliche Investitionen waren notwendig, die in die Rationalisierung der Produktion und in die Fahrzeugentwicklung flossen, bevor die spanische Konzerntochter 1988 schwarze Zahlen schrieb.
Während die Volkswagen AG in Europa und Asien neues Terrain eroberte, nahmen ihre Geschäfte in Amerika in den 1980er Jahren einen krisenhaften Verlauf. Im verschärften Wettbewerb mit den japanischen Herstellern, die sowohl ihre Exportquote in die USA erhöht als auch ihre dortigen Produktionskapazitäten ausgebaut hatten, stagnierten 1986 die Absatzzahlen der Volkswagen of America. Während der Jetta ebenso wie im Vorjahr verkaufsstärkstes Modell war, blieb der in den USA gefertigte Golf, dessen Produktion um 13 Prozent eingeschränkt wurde, weiter hinter den Erwartungen zurück. Anhaltend hohe finanzielle Verluste und die Unterauslastung der Kapazitäten nötigten der Konzernleitung im November 1987 die Entscheidung ab, das Werk Westmoreland zu schließen. Innerhalb des Fertigungsverbunds übernahm der mexikanische Standort Puebla die Aufgabe, den nordamerikanischen Markt mit den Modellen Golf und Jetta zu beliefern.
In Südamerika verursachten die wechselhafte wirtschaftliche Entwicklung und die hohe Inflation anhaltende Ertragsverluste der brasilianischen und argentinischen Tochterunternehmen. Nachdem die dortige Regierung einen Preisstopp verhängt hatte, war die Rentabilität der Volkswagen do Brasil untergraben. Um das Engagement in Südamerika bei begrenztem Kapitaleinsatz zu sichern und das finanzielle Gesamtrisiko zu reduzieren, bahnte die Volkswagen AG eine Kooperation mit Ford an. Durch Gründung der Autolatina bündelten am 27. Mai 1987 die beiden Hersteller ihre Aktivitäten in Brasilien und Argentinien unter dem Dach einer Holdinggesellschaft. Volkswagen übernahm die technische, Ford die finanzielle Führung des Gemeinschaftsunternehmens. Die geplante Fusion der Volkswagen do Brasil und der Ford Brasil scheiterte am brasilianischen Händlergesetz, sodass beide Unternehmen als rechtlich selbstständige Gesellschaften bestehen blieben. Deren Kostenstruktur konnte durch Synergieeffekte und den Aufbau gemeinsamer Produktlinien verbessert werden. Die Situation der Autolatina Argentina hingegen blieb kritisch, weshalb 1990 über die Zusammenlegung der Vertriebsnetze nachgedacht wurde. Ein 1991 in Argentinien und dann Ende März 1992 in Brasilien geschlossener Sozialpakt zwischen Wirtschaftsministerium, Gewerkschaften und Fahrzeugindustrie trug zur nachhaltigen Belebung des Automobilgeschäfts bei. Aus der Kooperation zwischen Volkswagen und Ford ging 1991 ein zweites Joint Venture in Portugal hervor, um mit Kapital- und Risikoteilung eine Großraumlimousine für den europäischen Markt zu bauen.
Der Zusammenbruch der sozialistischen Planwirtschaften in Osteuropa gab dem Expansionskurs des Wolfsburger Unternehmens eine unerwartete Richtung. Unmittelbar nach dem Fall der Mauer im November 1989 intensivierte die Volkswagen AG die Verhandlungen mit der sächsischen Automobilindustrie, zu der sie langjährige Geschäftsbeziehungen unterhielt. Mit dem in Chemnitz ansässigen IFA-Kombinat Personenkraftwagen gründete Volkswagen im Dezember 1989 eine Planungsgesellschaft, um die Entwicklung und Produktion international konkurrenzfähiger Fahrzeuge vorzubereiten. In Erwartung eines Nachfragebooms nach westlichen Pkw investierte Volkswagen in den Ausbau der Produktionsstätten Mosel, Chemnitz und Eisenach, deren technischer Standard und die Kapazitäten den Anforderungen an eine effiziente Massenfertigung genügten. In Mosel entstand eine moderne Montagefabrik mit einer Jahreskapazität von 250 000 Fahrzeugen. Aggregate lieferten die Motorenwerke in Chemnitz sowie die Zylinderkopffertigung in Eisenach, die nach einem Kapazitätsausbau auch für den Konzernverbund produzierten.
Die Umbrüche nach 1989 gaben der Volkswagen AG die gleichsam einmalige Möglichkeit, die Automobilmärkte Ostmitteleuropas für sich zu öffnen. Als lohnendes Ziel machte der Vorstand das tschechische Automobilunternehmen Škoda aus, das über eine wertvolle Marke, eine lange Tradition und eine hochqualifizierte Belegschaft verfügte. In Erwartung einer automobilen Sonderkonjunktur sicherte Volkswagen eine großzügige Produktionsausweitung und umfangreiche Sozialleistungen, insbesondere den befristeten Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen zu. Škoda konnte 1991 als vierte eigenständige Marke in den Volkswagen Konzern eingegliedert werden. Das Wegbrechen des Binnen- und der osteuropäischen Märkte durchkreuzte die allzu optimistischen Prognosen.
Durch die rasant fortschreitende Internationalisierung entwickelte sich der Volkswagen Konzern zum globalen Produktionsverbund, der Fertigungsstätten auf fünf Kontinenten unterhielt. Mit der Errichtung eines starken Standbeins in Asien sowie in Osteuropa konnten nicht nur Zukunftsmärkte erschlossen, sondern auch kostengünstige Produktionsstandorte aufgebaut werden. Die Wachstums- und Mehrmarkenstrategie führte den Volkswagen Konzern an die Spitze der europäischen Automobilindustrie und versetzte ihn durch die Erweiterung der Modellpalette in die Lage, Fahrzeuge für jeden Geschmack und Anspruch zu bauen. Die ansteigenden Kosten dieser Expansionswelle untergruben die wirtschaftliche Lage der Volkswagen AG in der 1992 ausbrechenden Wirtschaftskrise.